John nahm uns mit einem breiten Lächeln in seinem halboffenen, rostigen Safariwagen sitzend in Empfang, als wir – mein Freund Henrik und ich – in einem kleinen Dorf der Massai in Kenia ankamen. Seine Zähne strahlten schon von Weitem, auch wenn einer seiner unteren Schneidezähne fehlte. Von Nairobi fuhren wir mit einem Matatu, einem ostafrikanischen Sammeltaxi, nach Sekenani – der letzten Ortschaft vor der legendären Massai Mara, die an der naheliegenden tansanischen Grenze in die Serengeti übergeht. Für drei Tage begaben wir uns ins Leben der Massai in Kenia. Nicht irgendwie. Sondern intensiv.

Sowa! – Wie ich die Massai in Kenia authentisch kennenlernte

Auf unserer siebenmonatigen Rucksackreise durch Afrika wollten wir die Massai in Kenia kennenlernen. Fernab hochpreisiger pauschaltouristischer Resorts, in denen einige Massai in Kenia ihr Geld mit Tanzauftritten verdienen. Stattdessen bezogen wir ein von zwei Massai-Männern geführtes kleines Camp mit einem einfachen Großraumzelt und selbst zusammengezimmerten Möbeln. Der eine von ihnen war John. Der andere, Lewis, wurde in diesen Tagen nicht nur zu einem Wegbegleiter, sondern zu einem Freund, der uns noch heute mit den Massai in Kenia verbindet.

Massai Kenia beim Bogenschießen in der Massai Mara
Lewis demonstriert uns seine Selbstverteidigung

John und Lewis tragen zu jeder Zeit traditionell rotkarierte Gewänder und laufen auf dünnen Sohlen aus Gummi. Denn sie sind stolz auf ihren Stamm, auch wenn die beiden für sie persönlich obsolete Rituale aus freien Stücken über Bord werfen und gewisse Annehmlichkeiten der Moderne in ihren Alltag implementiert haben. Es dauerte nicht lange bis Lewis und wir uns gegenseitig auf Instagram folgten.

Die erste Vokabel hatte Lewis uns auch rasch eingetrichtert: Sowa! Das heißt Hallo. Damit waren wir gewappnet für unseren Spaziergang durch das 400-Seelen-Dorf und die umliegende Natur. Ach ja, die ist übrigens durch keinerlei Zäune von der Massai Mara getrennt. Egal ob, Hyänen, Giraffen oder gelegentlich auch Löwen, die Massai in Kenia haben gelernt mit den Wildtieren zu koexistieren.

Besuch bei den Massai in Kenia
Das ist Lewis auf dem Leruk Hill. Sein Blick ist auf seine Heimat gerichtet: Die Massai Mara

Zwischen Ziegenherden und Schwarzen Mambas – Unterwegs mit einem Massai in Kenia

Zu dritt schlenderten wir entlang einer Gruppe Mädchen, die in einem riesigen Schlammloch übten, Häuser zu bauen. Das ist bei den Massai in Kenia nämlich Frauensache. Männersache hingegen ist bei den Massai das Treiben der Ziegen- und Rinderherden. Früh übt sich auch hier, denn die Jungs müssen bereits nach der Schule und am Wochenende Verantwortung übernehmen. Zu meiner Verwunderung begrüßten uns die Kinder mit einem vornehmen Knicks. Das sei der übliche Gruß zwischen Kindern und Erwachsenen, die diesen wiederum mit einer sanften Berührung des Kopfes erwidern.

Lewis hielt an einem Baum und zückte sein Messer. Gekonnt löste er einen Ast und pellte die Rinde an einer Seite ab. Fertig war die Zahnbürste. Salvadora persica ist der Name der Zahnputzpflanze. Die Spitze des gepellten Astes wird gekaut bis sie weich wird und leicht scharf nach Ingwer schmeckt. Nun, bei aller Naturliebe – ich habe es ausprobiert, würde aber jederzeit meine gewohnte Zahnbürste verwenden.

Traditionen der Massai Kenia
Die traditionelle Zahnbürste der Massai in Kenia

Vor einigen Jahre hatte es im Dorf einen Cholera-Ausbruch gegeben, erzählte uns Lewis, als wir neben einem Brunnen standen, an welchem eine Frau gerade mehrere Kanister auffüllte. Dieser Brunnen wurde durch Spenden finanziert, um einen weiteren Ausbruch in Zukunft zu vermeiden.

Hinter dem Camp blickten wir auf die Spitze des Leruk Hills, die wir ebenfalls gemeinsam mit Lewis erklommen. Bei knalliger Sonne knackten wir die 2.000-Meter-Marke, während Lewis leichtfüßig wie eine Thompson-Gazelle bergauf sprang und wir erschrocken waren über unseren unzufriedenstellenden Fitnesszustand. Die Afrika-Reise hatte ihre Spuren hinterlassen. Erschrocken war Lewis allerdings nicht über unsere Kondition – die bezeichnete er als überragend –, sondern über ein Tier, dessen Weg wir besser nicht kreuzen sollten. Ruckartig sprang er zurück und griff uns beide an den Händen, um uns unmissverständlich zu verstehen zu geben, dass wir ihm folgen sollten. Der Grund: Eine ausgewachsene Schwarze Mamba, die sich kaum drei Meter vor uns auf einem Stein sonnte. Die Mitte ihres langen Körpers war deutlich dicker als der Rest. Sie musste also gerade zu Mittag gegessen haben.

Ganz unerwartet begrüßten uns auf dem Leruk Hill drei Giraffen, eine große Herde Zebras und sogar ein Eland. Der weite Ausblick auf die flache, endlose Savanne und die Massai Mara war gigantisch! Ich fühlte mich in meinen liebsten Film aus Kindertagen versetzt: Der König der Löwen.

Massai Kenia Besuch
Eland auf dem Leruk Hill – die größte Antilope der Welt

Lewis zeigte uns, wie die Massai in Kenia mit Pfeil und Bogen hantieren. Entgegen meiner Vermutung gehen die Massai allerdings nicht aktiv auf die Jagd. Die Waffe wird einzig zum Selbstschutz in der Wildnis mitgetragen. Na, ein Glück, dass Lewis uns das nicht beim Aufeinandertreffen mit der Schwarzen Mamba demonstrieren musste.

Am Abend schlief ich friedlich zu „Aaaa-u“-Rufen ein. Nach über einem halben Jahr in Afrika war mir kaum ein nächtliches Geräusch geläufiger als dieses. Es war der Ruf von Hyänen.

Hyäne in der Massai Mara
Ein Hyänen-Männchen in der Massai Mara

Ehe bei den Massai – Wer am höchsten springt, der…

…kriegt die Frau! Dieses Ritual ist das wohl bekannteste der Massai in Kenia. Dass mein Mann plötzlich im Hochsprung gegen einen Massai in Kenia antrat, hatte ich nicht erwartet. Doch in diesem Fall ging es glücklicherweise weder um mich noch um eine andere Frau. Just for fun! Doch wie war es dazu gekommen, dass ich gemeinsam mit den Frauen der Massai in Kenia tanze, indem ich in ungewohntem Rhythmus die Schultern von hinten nach vorne drückte, und Henrik mit den Männern um die Wette sprang?

Massai Männer in Kenia beim Springen

Das Dorf, in dem John und Lewis leben, ist vergleichsweise modern für die kenianischen Massai. Normalerweise leben die Massai in Kenia semi-nomadisch. Alle sieben Jahre zieht ein gesamtes Dorf um. Das ist bei unseren beiden Gastgebern nicht der Fall. Aber Lewis kannte ein Dorf, welches nach strengen Traditionen lebt und auch Besucher in Empfang nimmt. Als wir dort ankamen, wurden wir vom gesamten versammelten Dorf mit den eingangs beschriebenen Szenen begrüßt. Nach den traditionellen Tänzen und Sprungwettbewerben führte uns der Chief höchstpersönlich durch sein kreisförmig angeordnetes Dorf und erkundigte sich überaus interessiert nach unseren Bräuchen in Deutschland. Wie viel Henrik für mich hatte zahlen müssten, fragte er ihn in hervorragendem Englisch offen und absolut ernst gemeint.

Bräuche und Traditionen der Massai in Kenia, Afrika
Feuermachen ohne Streichholz oder Feuerzeug. Dieser Massai hat es drauf!

Die Massai in Kenia sind polygam. Während die Männer der Massai in Kenia so viele Frauen haben dürfen, wie sie sich erspringen und in Form von Rindern leisten können, ist es Frauen strikt untersagt, sich scheiden zu lassen. Laut dem Chief kostet eine Frau durchschnittlich 10 Rinder. Eine weiße Bemalung der Männer ist ein Zeichen dafür, dass sie unverheiratet sind.

Alle Männer der Massai in Kenia tragen rotfarbige Gewänder. Was ich zuvor nicht hinterfragt hatte, besitzt sogar einen ganz praktischen Sinn: Rot hält Wildtiere fern. Auch fand ich, dank den Erzählungen des Chiefs, die Erklärung für Johns große Zahnlücke. Denn im Alter von 4 Jahren werden den Massai beide unteren Schneidezähne gezogen – als Zeichen der Stammeszugehörigkeit. Selbst ein tüchtiger Geschäftsmann im Anzug in Kenias Hauptstadt Nairobi outet sich auf diese Weise als Massai. Mal abgesehen davon, dass es nach wie vor sehr schwierig für die Massai in Kenia ist, in höhere Schichten aufzusteigen.

Zwei traditionell geschmückte Massai Männer
Unverheiratete Massai-Männer

Löwentöten bei den Massai in Kenia – Mythos oder Realität?

Stolz hielt uns der Chief seine Kette entgegen, an der ein großer, spitzer Zahn hing. Anschließend zeigte er auf eine großflächige Narbe auf seiner Schulter. Die Tradition der Massai in Kenia sieht es vor, dass jeder junge Mann mit Erreichen seines 18. Geburtstags in die Wildnis ziehen muss, um mit einem Messer einen Löwen zu töten. Viele Jungen kommen nie wieder zurück. Nicht schlimm, denn es gäbe schließlich genug Kinder, meinte der Chief. Die jungen Massai, die die Challenge meistern, werden hochgefeiert. So wie er selbst.

Anschließend fragten wir Lewis, ob er auch einen Löwen töten musste. Er verneinte – etwas verschämt, so als ob er sich damit kurzzeitig nicht mehr als Massai fühlte. Das Töten von Löwen ist bei den Massai in Kenia absolut Realität und kein Mythos! Doch mit der Entwicklung zur Moderne bleibt denjenigen, die Zugang zu Bildung haben, immer stärker eine Wahl, was sie als Massai ausmacht und welche Traditionen sie fortführen möchten.

Das Töten von Löwen mit einem Messer gilt bei traditionell lebenden Massai in Kenia bis heute als Männlichkeitsritual

Zum traditionellen „täglich Brot“ gehört noch immer das Trinken von Rinderblut – auch im Dorf, in dem Lewis und John leben. Der natürliche Energy Drink der Massai in Kenia! Darüber hinaus besteht die klassische Ernährung hauptsächlich aus Fleisch und Kuh- oder Ziegenmilch. Nicht gerade einladend für Vegetarier wie uns. John und Lewis ließen übrigens netterweise fleischfreies Essen für uns zubereiten. Besonders bewundernswert: Sie aßen sogar mit uns, obwohl sie sich eigentlich anders ernähren.

Zwischen Tradition und Moderne

Auf der einen Seite steht das Ritual des Löwentöten. Auf der anderen Seite steht der Artenschutz. Auf der einen Seite stehen die Massai in Kenia mit all ihren Traditionen und Brauchtümern. Auf der anderen Seite steht eine Regierung, die zwangsläufig Schritt halten muss mit den Wertvorstellungen einer globalisierten Welt.

Aus meiner Perspektive als Frau beschäftigt mich vor allem eines: Wie lässt sich das traditionelle Leben der Massai in Kenia mit Frauenrechten vereinbaren?

Lewis ist für mich das Sinnbild eines Massai in Kenia, der in dem Kontinuum zwischen Tradition und Moderne lebt. Und das finde ich verdammt beeindruckend!

Lewis, Henrik und ich auf der Spitze des Leruk Hills

Warum ein Besuch der Massai in Kenia meine Augen geöffnet hat

Auf eine unbeschreibliche Art fühlte ich mich im Dorf der Massai in Kenia wohl und geborgen. Obwohl ein großer Teil ihrer Traditionen und Bräuche gegen meine Wertvorstellung sprechen. Obwohl ich als Frau bei den Massai in Kenia beinahe keine Rechte habe. Obwohl das Leben bescheidener kaum sein könnte. Was der Auslöser für dieses Gefühl war? Wir hatten das große Privileg, den Massai in Kenia auf kultureller Augenhöhe begegnen zu können. Aus ehrlichem Interesse und mit gegenseitigem Respekt, ohne den anderen für seine Taten zu verurteilen und maßregeln zu wollen. Ohne eine Wertung vorzunehmen. Nicht einmal regte sich das Gefühl, wie in vielen, vielen anderen Teilen Afrikas, dass uns die Massai in Kenia als „besser“ oder stinkreich betrachteten.

Woran das ausgerechnet hier liegen mag? Ich vermute, dass die Massai in Kenia schlichtweg zufrieden sind mit ihrem Dasein als Massai. Sie sind stolz und beneiden uns nicht um unser Leben. Der Grundstein für Offenheit und Menschlichkeit über Grenzen hinweg.

Autor

Hey! Ich bin Hannah - reisesüchtig, schreibverliebt und sportverrückt aus Leidenschaft! Mit 19 Jahren reiste ich alleine nach Peru, um mich als Volunteer in einem sozialen Projekt einzusetzen. Spätestens dort wurde ich zur selbstreflektierenden Weltentdeckerin und Abenteurerin. Die Entwicklung der Persönlichkeit auf Reisen ist daher ein sehr wichtiges Thema für mich, dem ich meist auch einen Platz in meinen Beiträgen schenke, um meine Erkenntnisse mit dir zu teilen.

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