„Ich lösche nachher alles“, ist ein Satz, den wir sehr häufig in unseren Coachings hören. „Ich gehe raus, fotografiere, bin unzufrieden und lösche alles.“ Natürlich kannst du das machen. Aber schlechte Fotos haben ein riesiges Potential: Du kannst unheimlich viel aus ihnen lernen. Bereit für 6 Gründe, warum du schlechte Fotos machen – und ja, auch zeigen! – solltest?
In diesem Beitrag
1. „Deine ersten 10.000 Aufnahmen sind die schlechtesten.“
Dieses berühmte Zitat wird manchmal Helmut Newton, manchmal Henri-Cartier Bresson zugeschrieben – beide große Meister der analogen Fotografie.
Am Ende ist es egal, von wem das Zitat ist, im digitalen Zeitalter müsste man wohl sowieso noch eine Null dranhängen. Die Aussage dahinter aber ist klar: Du beginnst nicht als Meister und kannst kaum erwarten, in deinen ersten Jahren oder gar Monaten in der Fotografie ein riesen Meisterwerk zu landen. Steigern kannst du dein Können allerdings nur, wenn du diese ersten zehntausend – oder hunderttausend – Fotos machst, und zwar nicht, indem du den Auslöser durchrattern lässt, sondern, indem du dir um jedes Foto bewusst Gedanken machst. Fotografieren ist wie Musizieren, du musst es lernen. Du musst dir Furchtbares anhören oder ansehen, bis es besser wird und jedes schlechte Foto ist ein Schritt weiter und tiefer in die Fotografie.
Unter deinen eresten Fotos werden Bilder sein, die du in dem Moment ganz gut findest und auf die du stolz bist. Sie werden dich pushen, weiterzumachen, du wirst sie allen zeigen. Aber in einem Jahr wirst du dich wundern: „Wirklich, auf das Foto war ich stolz? Das habe ich für ein gutes Bild gehalten?“ Super – das zeigt deine Entwicklung: Wenn deine Bilder nach zehn Jahren noch auf dem Niveau deiner ersten wären, hättest du kaum was erreicht.
Fotografiere also, und habe Spaß dabei. Habe Freude am Rausgehen, nimm die Kamera mit, entdecke die Funktionen und Möglichkeiten. Finde heraus, was dir Spaß macht und liegt, entwickle deinen Stil, verwerfe ihn wieder, ahme andere nach, verwerfe es wieder und irgendwann, unbemerkt, wird sich deine eigene Bildsprache entwickeln, du wirst mit Technik und Kunst zusammenwachsen. Ein Stück weit gelingt das über die Theorie. Aber sehr viel mehr noch durchs Machen. Ob du dabei gute oder schlechte Fotos fotografierst, ist für deine Entwicklung am Ende ziemlich egal. Fotografiere!
2. Nur wenn du Fotos hast, kannst du sie analysieren
Einer der Königswege zu besseren Fotos ist es, Fotos bewusst zu analysieren. Wir sagen es immer wieder: Schau dir Bilder (deine eigenen und die von anderen), die dir gefallen, ganz bewusst und ausführlich an. Achte genau darauf, wie das Licht auf dem Foto wirkt und wie das Bild aufgebaut ist. Schaue dir an, wie es mit Ebenen, Vordergrund, Tiefe, Licht und Schatten, Farben, Linien und Strukturen arbeitet. Und schau dir Fotos, die dir nicht gefallen, ebenso bewusst nach diesen Kriterien an und vergleiche diese. Und so schön alle Theorie ist: Am hilfreichsten ist es, wenn du dies bei eigenen Fotos machst.
Du kommst damit nicht weiter? Dann frage andere. Poste deine Fotos in Fotocommunitys (Achtung, du brauchst ein dickes Fell!) und frage ehrlich nach Kritik und Verbesserungsvorschlägen der Mitglieder. Oder frag uns.
Natürlich ist es verführerisch, schlechte Fotos enttäuscht und wütend zu löschen. Das kannst du auch später immer noch machen. Aber zuerst nutze sie. Schau dir bewusst an, was warum nicht funktioniert an. Komme nicht zu dem Schluss „Das Foto ist langweilig“, sondern „Das Foto ist langweilig, WEIL…“ (z. B. das Licht zu hoch steht, das Motiv nichts hergibt, das Bild durch die vielen Strukturen zu unruhig ist, die hellen Bereiche ausgefressen sind…). Überlege auch konkret, was du besser machen kannst. Du hast das Foto tagsüber auf einer Städtereise gemacht, dich stören die ganzen Menschen im Bild, die dunklen Schatten, die blöden Autos…? Dann komm nochmal morgens um 5 Uhr wieder, wenn all diese Probleme keine sind. Klingt radikal? Ja, ist es. Aber ich verrate dir was: Wir machen Städtefotos ausschließlich morgen von 5 bis 7. Nicht, weil wir gerne früh aufstehen, sondern weil uns die Analyse unserer schlechten Stadtfotos gezeigt hat, das nur das uns am Ende fotografisch zufrieden macht.
3. Du weißt, was nicht funktioniert
Manchmal gewinnst du, manchmal lernst du – du verlierst nie.“
Wir waren mal unterwegs in der Lüneburger Heide – einer wunderschönen Landschaft in Niedersachsen – und haben grausam schlechte Fotos gemacht. Es gelang uns einfach gar nichts. Innerlich schon darauf eingestellt, zurückzufahren, haben wir uns dann hingesetzt, die Bilder angeschaut und alles reflektiert, was wir über Bildaufbau und die Gestaltung von Landschaftsbildern wussten. Danach haben wir all das streng angewendet. Obwohl kein gutes Licht war, wurden die restlichen Bilder so, dass wir damit leben konnten. Zuhause haben wir einen Artikel geschrieben, dessen Grundlage dieses Erlebnis war. Du findest ihn hier:
So machst du nie wieder langweilige Landschaftsbilder
Ein schlechtes Foto ist kein Fehler. Wenn du ein schlechtes Foto gemacht hast, hast du eine Möglichkeit gefunden, die nicht funktioniert. Vielleicht hast du das Foto mitten am Tag bei hochstehender Sonne gemacht – klappt fast nie. Vielleicht hast du „die Landschaft“ fotografiert statt ein Hauptmotiv in der Landschaft – klappt auch nicht. Vielleicht hast du dein Haustier von oben herab fotografiert statt auf Augenhöhe und vielleicht hast du einfach keinen durchdachten Bildaufbau, weil die Szenerie in der Realität so schön war, dass du nicht daran gedacht hast, dass das auf dem Foto nicht „einfach so von alleine“ gut wirkt. Wunderbar. Blöd wäre jetzt, wenn du den gleichen Fehler 700 Mal machst. Deswegen: Lösche deine schlechten Fotos nicht einfach nur genervt, sondern schau sie dir vorher bewusst an, um nächstes Mal anders an die Situation heranzugehen.
Du hast nicht versagt, wenn etwas nicht funktioniert. Du hast nur eine von vielen Möglichkeiten gefunden, wie es nicht geht.“
4. Vielleicht entdeckt ein anderer ein Juwel
Ich möchte dir ein Geheimnis verraten: Eines unserer beliebtesten Fotos mögen wir beide überhaupt nicht. Als Lückenfüller auf Instagram gepostet, erhaschte es tausende Likes. Die allermeisten, die dieses Foto sehen, sind begeistert. Wir mögen es noch immer nicht. Und wäre es kein Notfall-Lückenfüller geworden, hätten wir es gelöscht und nie geahnt, dass dieses Foto erfolgreich sein kann.
Auch bei unseren Hochzeitsreportagen und anderen Auftragsfotografien ereilt uns das manchmal: Fotos, die wir fast rausgeschmissen hätten, werden die Lieblingsfotos des Kunden. Und andersherum passiert das auch: Bei unseren Bilder-Reviews sind wir nicht selten absolut begeistert von einem Foto, mit welchem unser Teilnehmer eigentlich gar nicht zufrieden ist.
Jeder Betrachter sieht ein Foto mit einem anderen Blick. Und so lohnt es sich, auch mal Fotos zu zeigen, die dich nicht besonders glücklich machen. Vielleicht entdeckt jemand anderes ein Juwel darunter? Oder hat, wie wir oft in den Reviews, einen ganz einfachen Tipp wie „schneide mal das untere Drittel ab“, um dieses Foto auch für dich zu einem Wahnsinnsbild zu machen.
5. Dein großes Foto ist vielleicht nur eine Auslösung entfernt
Weißt du, wann du garantiert kein Weltklasse-Foto machst? Wenn du die Kamera zuhause im Regal lässt. Wir haben einige unserer erfolgreichsten Fotos dann gemacht, als wir es gar nicht vorher erwartet hatten, aber unverhofft z. B. mit sehr guten Wetterverhältnis gesegnet waren. Eines unserer großen Awardfotos ist tatsächlich ohne Vorbereitung entstanden und eines meiner meistveröffentlichten Fotos ist ein ganz altes Bild, das ich einige Jahre nach der Aufnahme erst richtig bearbeitet und habe.
Wer weiß, wie weit dein großes Foto noch entfernt ist? Oder ob es vielleicht schon längst auf deiner Festplatte schlummert?
Zwei Tipps: Geh zu den Randzeiten des Tages mit der Kamera raus und fotografiere das, was dich im Herzen begeistert, egal ob es Autos, Natur, Menschen oder Katzen sind. Es besteht eine große Chance, dass ein Foto dabei ist, das du sehr magst.
6. Nur deine Selbstkritik bringt dich weiter
Selbstkritik und Perfektionismus sind große Bürden für einen selbst, aber sie scheinen sehr gute Treiber für Erfolg zu sein. Wir kennen keinen guten Fotografen oder erfolgreichen Künstler, der nicht extrem selbstkritisch ist. Und wir kennen hunderte Fotografen, die jahr(zehnt)elang selbstzufrieden auf einem niedrigen Niveau verharren. Letzteres ist kein Problem, denn wichtig an einem Hobby ist, dass es DICH glücklich macht. Wenn du aber zur selbstkritischen Sorte gehörst, freu dich drüber: Wenn dein Perfektionismus nicht zu weit geht und dir dein Hobby kaputt macht, wird er dich wahrscheinlich sehr weit bringen.
Und unter uns: Wir fotografieren seit 8 Jahren beruflich und haben kaum Fotos, mit denen wir selbst 100% absolut zufrieden und glücklich sind. Kaum. Aber genau das ist unser Motor. Der Motor, der dafür sorgt, dass wir jedes Jahr bessere Fotos machen als das Jahr davor und der uns weit über Linien hinausbringt, von denen wir früher dachten, dass sie unsere Grenzen wären.
Also gehe raus und fotografiere. Analysiere. Liebe deine schlechten Fotos, denn sie zeigen dir Fehler und Potential auf. Zeige deine schlechten Fotos, denn vielleicht wird eines davon dein erfolgreichstes. Arbeite an deinen eigenen, konkreten fotografischen Schwächen, nicht an mehr und teurerem Equipment. Schaue dir großartige Fotos von anderen Fotografen an und reflektiere und vergleiche, was an diesen Fotos dich so begeistert und was an deinen noch fehlt. Und wenn du völlig feststeckst, lass einen Profi draufgucken (wir können das gerne machen), der dir ehrlich sagt, woran es hapert, wie du es mit einfachen Mitteln besser machen kannst und der im besten Fall sogar ein Juwel unter deinen Bildern findet.