Ein Roadtrip durch den wilden Westen
Es sind diese Bilder.
Diese Bilder von endlosen Straßen, die schnurgerade bis in den Horizont verlaufen. Bilder von offenen Autos, wehenden Haaren und Sonnenbrillen. Bilder von endloser Weite, von Träumen, von Freiheit.
Freiheit.
Es steht kaum ein Erlebnis so sehr für dieses Gefühl wie ein Roadtrip durch den Westen der USA.
Es ist Oktober in Deutschland.
Grau, wie immer. Sprühregen. Die lähmende Vorstellung, uns die nächsten sechs Monate melancholisch in unserer Wohnung einzuigeln, wird immer präsenter, als die Tage vergehen, dunkler und kürzer werden. Der Sommer ist vorbei. Sommer? Hatte 2017 einen Sommer? Es stürmt.
„Am besten wäre es, wir fliegen für einen Monat nach Kalifornien“, sagt Jan, und beiläufiger könnte es nicht sein.
‚Ja, nach Kalifornien’, denke ich, und schlurfe in die Küche. ‚Das wäre am besten.’ Wir reden nicht weiter darüber. Aber wir wissen: Es sind Ideen wie diese – beiläufige, nur halb ernstgemeinte – die oft diejenigen sind, die unser Leben am meisten bereichern.
Es dauert wenige Stunden, bis wir uns fragen, warum wir nicht wirklich fliegen. Wir sind selbstständig, können jederzeit weg. Die Hochzeitssaison ist vorbei. In den nächsten fünf Wochen haben wir einen Haufen Arbeit. Aber keinen einzigen Termin, bei dem wir vor Ort sein müssen. Einen Monat nach Kalifornien? Geht das? Jetzt?
Natürlich nicht. Eine einmonatige Reise auf einen anderen Kontinent plant man vorher. Man arbeitet Routen und Budgets aus. Man bucht Hotels. Man wägt mögliche Ziele ab. Recherchiert. Eine so aufwändige und intensive Reise braucht Planung. Man fliegt nicht einfach so für einen Monat weg.
Wir überlegen.
Welche Planung brauchen wir eigentlich wirklich?
Geld? Ist auf unserem Konto. Nicht unendlich viel, aber wer hat das schon.
Flüge? Buchen wir in fünf Minuten.
Mietwagen? Auch.
Hotels? Vor Ort.
Infos? Wir waren schonmal dort. Und lesen ein paar Blogs am Flughafen. Die USA sind das einfachste Reiseland der Welt. Kann man gar nicht falsch machen.
Route? Egal. Dahin, wo die Sonne scheint.
Der günstigste Flug, den wir finden, geht nach Las Vegas. Das liegt nicht in Kalifornien. Egal. Es ist da, wo die Sonne scheint.
Drei Tage später sitzen wir im Flugzeug. Wir fliegen in die Sonne.
Las Vegas und der Beginn eines Traums
Es ist Samstag, auch hier in Las Vegas. Es ist laut. Es ist voll. Es ist Party. Überall. Wir sind übermüdet und haben keine Lust. Wieso Las Vegas? Wieso, von allen Städten der USA? Die Einreise war nervig, wie immer in den Staaten. Hundert Stunden stehen und warten, und nochmal hundert Stunden. Hätte es keine anderen Ziele gegeben? Mussten wir unbedingt 16 Stunden fliegen?
Las Vegas nervt uns. Wir fahren zu unserem hässlichen Motel und fallen todmüde ins Bett. Vielleicht hätten wir doch besser recherchieren sollen. Machen wir. Ab morgen. Partymusik dröhnt durch die dünnen Wände. Wir hören sie nicht mehr.
Am nächsten Morgen sind wir die Einzigen, die wach sind. Wir frühstücken in einem kleinen, dunklen Diner. Es gibt Hashbrowns. Rührei. Bacon. Endlich Kaffee. Amerikanisch perfekt.
Unser erstes Ziel ist es, möglichst viele Meilen zwischen uns und Las Vegas zu bringen. Wir mögen die Stadt, waren schon öfter hier, aber im Moment ist das was wir suchen: Ruhe. Entspannung. Natur. Freiheit und Weite.
Unser Mietwagen ist cool, ein Ford Hybrid. Wir müssen uns erst daran gewöhnen, dass wir nicht hören, ob der Motor läuft. Und dass wir kaum Benzin verbrauchen. Einen Ford Mustang gab es nicht. Aber die Sparsamkeit des Hybrid erlaubt es uns, deutlich mehr Meilen zurückzulegen als geplant. Wir können noch nach Oregon fahren. Durch den ganzen Westen. Die ganze kalifornische Küste runter. Bis an die mexikanische Grenze. Gibt es ein besseres Geschenk am Anfang eines einmonatigen Roadtrips?
Wir statten uns mit amerikanischen SIM-Karten für unsere Handys aus und mit dem, was man sonst noch so braucht, wenn man sich vorher um nichts gekümmert hat und verlassen Las Vegas. Richtung Arizona, am beeindruckenden Hoover Dam vorbei geht es zur Route 66. Es sind 25 °C, Countrymusik schallt aus den Lautsprechern. Wir suchen unsere Sonnenbrillen, atmen durch. Wir sind angekommen.
Die Faszination Arizonas
In Arizona gibt es Arizona Iced Tea. Gibt es auch in Deutschland, aber hier kostet er nur 79 Dollar-Cent. Für einen halben Liter. Bei uns das Fünffache. Man kann auch gleich einen ganzen Kanister kaufen, der kostet auch nicht viel mehr. Und warum auch nicht, Eistee aus einem Kanister. Es ist Amerika, Land der wunderschönen Natur, aber auch Land des wundersamen Einkaufens.
Wir stehen damit wohl alleine da, aber wir lieben die amerikanischen Supermärkte. Wir haben kein Problem damit, einen Monat aufs Käsebrot zu verzichten und stattdessen jeden Tag etwas zu essen und zu trinken, was wir noch nie vorher gesehen haben. Stunden verbringen wir im WalMart und schlendern durch die endlosen Gänge. Es gibt alles, was man sich vorstellen kann. Und noch jede Menge mehr. In unserem deutschen, reichen Leben des Überflusses noch so erstaunt und erschlagen sein zu können von einem Supermarktangebot, das ist ein ganz besonderes Gefühl. Immer wieder.
Wir kaufen Erbsenchips und andere Dinge, über die wir die Köpfe schütteln und fahren durch die endlose Wüste Arizonas. Unser erstes großes Ziel ist der Grand Canyon.
Grand Canyon
Der Grand Canyon ist ein Ort, den man nicht beschreiben kann. Ein Ort, den man sich nicht vorstellen kann, wenn man ihn auf Fotos sieht, weil kein Foto ihn erfassen kann. Auch unsere nicht. Nicht im Ansatz.
Wir kennen den Grand Canyon schon. Trotzdem sind wir wieder sprachlos als wir am Rand der Schlucht stehen. Es ist der Wahnsinn: Ewig fährt man durch den Wald, nichts sieht nach Canyon, rotem Stein oder Wildwest aus. Die letzten Minuten geht man zu Fuß. Durch Wald, immer durch Wald. Und dann lichten sich die Bäume. Auf einmal kommt nichts mehr.
Plötzlich ist vor einem: Nichts. 30 Kilometer geradeaus – nur ein Loch in der Erde. Man starrt in eine riesige Schlucht, so unfassbar tief, dass das Gehirn es nicht verstehen kann. Ist das da ganz unten, Kilometer unter uns, kaum sichtbar, der Fluss? Der riesige, reißende Colorado?
Wir setzen uns an den Abgrund und staunen. Es ist für uns noch immer unfassbar, welche Wunder die Natur hervorbringt. Wie schön unsere Welt ist. Was für ein unglaubliches Glück wir haben, auf diesem Planeten zu leben und so viel davon sehen zu können.
Wir wandern am South Rim des Canyons entlang, viele Stunden. Immer starren wir auf den gleichen Canyon, aber es ist mehr als beeindruckend, wie anders er nach der nächsten Kurve wirkt, was eine leichte Veränderung der Perspektive und auch des Sonnenstandes ausmachen. Wir warten auf die tiefstehende Sonne, die die roten Schluchten zum Leuchten bringt. Das tiefe Licht schafft andere Kontraste, andere Strukturen, wodurch die Tiefe dieses magischen Ortes noch präsenter wird. Es ist gigantisch. Für diese Stunden an einem der spektakulärsten Naturwunder überhaupt haben der weite Flug und die Strapazen der Einreise sich schon gelohnt. Wir denken nicht mehr an Regen-Deutschland. Die Faszination des Wilden Westens hat uns schon jetzt völlig in ihren Bann gezogen.
Im Reich der Indianer
Als wir uns Page nähern, einer Stadt an der Grenze von Arizona und Utah, funktionieren unsere Handys nicht mehr. Page liegt im Navajo-Reservat, hier gibt es den Navajo-Mobilfunk – oder gar keinen. Dass wir uns hier im Indianer-Land befinden, merken wir sonst auf den ersten Blick nicht: Es gibt Unmengen an Motels, Läden und Touristenhighlights. Sogar Golfplätze! Gegen die Einsamkeit Arizonas, die wir in den letzten Tagen durchquert haben, wirkt Page wie eine lebhafte Oase, manchmal fast wie ein aus dem Boden gestampftes Zentrum der Touristikbranche – aber irgendwie trotzdem klein und sympathisch.
Page ist der perfekte Ausgangspunkt für verschiedene Touren und Ausflüge in den Wilden Westen. Die Stadt liegt direkt am Lake Powell, einem riesigen See mit gigantischer Wüsten-Felskulisse, auf dem sich eine Bootstour unbedingt lohnt – gerade auch für Fotografen!
Kurz vor dem Ortseingang von Page gelangt man nach einem kurzen Spaziergang zum Horseshoe-Bend, einer Schleife des Colorado-Rivers, die ein beliebtes Fotomotiv ist. Der Sonnenuntergang hier ist atemberaubend, die Fülle an Touristen zu dieser Zeit leider auch. Generell boomt die Region um Page; Hotels schießen aus dem Boden und die sich aneinanderreihenden Touristenbusse lassen erahnen, wie ungemütlich überlaufen es hier zur Hochsaison im Sommer ist.
Wir sind froh, dass wir im Spätherbst gekommen sind, trotzdem sind einige Spots auch jetzt so überfüllt, dass wir als Naturliebhaber, Landschaftsfotografen und Ruhe-Fetischisten sie meiden. Am extremsten zeigt sich diese neue Touristenfülle am herrlichen Antelope Canyon – ein Slot Canyon, den ich noch vor vier Jahren fast alleine besucht habe und für den nun tausende hauptsächlich asiatische Touristen mit Selfiesticks Schlange stehen. Riesige Parkplätze und Infrastrukturen wurden und werden auch aktuell noch geschaffen, um dem Hype Herr zu werden. Wir freuen uns über die neue Einnahmequelle der Navajos, müssen uns dem Rummel aber entziehen. Es passt nicht. Nicht hier im Nirgendwo, in dem man sonst tagelang kaum Menschen sieht.
Wir suchen einen ruhigen, friedlichen Ort, an dem außer uns niemand ist, und finden ihn im Canyon X. Wie der Antelope Canyon ist auch der Canyon X ein Slot Canyon – im Gegensatz zu seinem berühmten Bruder ist er aber völlig unbekannt. Die Stunden, in denen uns – und nur uns – ein Navajo durch die wundervolle Mystik dieses Ortes führt, gehören zu unseren unvergesslichsten Reiseerlebnissen überhaupt. Über diese fantastische, fast unbeschreibliche Erfahrung fernab allen Trubels haben wir einen eigenen Artikel geschrieben, den wir dir unbedingt empfehlen, wenn du in den Westen der USA reisen willst: Canyon X.
Nach zwei Tagen zwischen mystischen, fast meditativen Erfahrungen in der Wüste Arizonas und dem Kopfschütteln über Touristenmassen, die für ein Selfie aus dem Bus springen ohne sich eine Minute in der Schönheit dieser Natur umzusehen, müssen wir uns entscheiden: In Page splittet sich die Straße.
Nach Westen Richtung Kanab geht es zum berühmten Bryce Canyon, zum Zion Nationalpark und theoretisch wieder zurück nach Vegas – eine bekannte Route, die die meisten Touristenbusse nehmen. Nach Osten geht es zum Monument Valley, einem der für uns beeindruckendsten Orte dieses Kontinents, und anschließend Richtung Moab zum Arches National Park.
Wir wollen alles sehen, Zion und Bryce, aber auch Monument Valley und Arches – es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als eine Strecke doppelt zu fahren. Page wird uns noch einmal wiedersehen.
Utah – hier bleiben wir!
Bryce Canyon
Es geht zuerst Richtung Westen. Meine Eltern sind für ein paar Tage in Kanab und wir wollen die Gelegenheit nutzen, sie zu treffen. Der nächste Wow-Punkt unserer Route und das erste Highlight in Utah ist daher Bryce Canyon – ein Ort wie aus einem Traum.
Bizarre Felsformationen, die wie Stacheln in den Himmel ragen – das ist der Bryce Canyon. Je nach Sonnenstand leuchten sie in Pastellfarben, in braunen, gelben, orangen oder roten Tönen.
Wir sind froh, dass wir alleine reisen, dass wir bleiben können, so lange wir wollen, dass wir warten können, bis die Sonne tief steht, dass wir Staunen können, Staunen und Innehalten.
Ein Ort wie der Bryce Canyon ist keiner, den man sich kurz anschaut, um ihn auf der Liste abzuhaken. Man muss ihn erleben. Man muss ihn spüren, ihn atmen. Man muss wandern, man muss sitzen, hier am Rand des kilometergroßen Kessels und den Blick schweifen lassen. Nur dann ist man da, nur dann hat man ihn wirklich gesehen.
Wir nehmen uns Zeit. Der Bryce Canyon bietet fantastische Aussichtpunkte, die zum Ewigen Verweilen einladen, und viele verschiede Strecken, von denen man genügend auch dann ablaufen kann, wenn man kein großer Wanderer ist. Immer wieder fliegt unser Blick über die herrliche Kulisse, immer wieder denken wir, wie fantastisch unsere Welt ist.
Utah hat viele gigantische, berühmte Nationalparks und die Versuchung ist groß, alle in kurzer Zeit abzufahren. Dieses mag einen Gewinn für den Instagram-Feed bringen, aber nicht für die Seele. Wenn du nach Utah fährst, halte inne. Nimm dir Zeit, wirklich zu sein. Steck dein Handy weg und staune. Gib dir die Chance, tatsächlich einmal ergriffen zu werden von einem Ort, von der Natur, von unserer Welt.
Zion und die Sanddünen
Der Zion-Nationalpark ist derjenige, der mich auf meiner letzten Reise in die USA am meisten begeistert hat. Gerade im Herbst beeindruckt dieser Park mit einer unglaublichen Farbpalette, die ganze Landschaft leuchtet – ein Traum für Wanderer, Fotografen und Naturliebhaber. Andere Canyons schaust du von oben an – im Zion bist du aber unten: mittendrin! Riesige schroffe Felswände erheben sich links und rechts von dir, du kannst sie erwandern oder erkletterrn, oder einfach nur in der gigantischen Kulisse faulenzen.
Wie der Antelope Canyon ist leider auch der Zion gerade ein extremer Hype. Die Vorfreude, die wir wegen der großartigen Erinnerungen unserer letzten Reise im Gepäck hatten, wird gedämpft, als wir am Parkeingang auch nach ewigem Suchen keinen Parkplatz finden. In den Park selbst kann man nur mit einen Shuttle fahren – aber dieses Vorhaben ist heute aussichtslos. Wir beschließen, wieder zu fahren und am nächsten Morgen zum Sonnenaufgang wiederzukommen. Dann, wenn hier niemand sonst ist. Dann, wenn wir es genießen können, wenn wir alleine sein können mit der Faszination der Natur.
Wir fahren durchs Nirgendwo, um Drohnenaufnahmen zu machen, als wir ein Schild mit der Aufschrift „Coral Pink Sand Dunes – State Park“ sehen. Kurzentschlossen biegen wir ab und schauen uns den Park an. Zwischen den schroffen roten Felsen Utahs haben wir Einiges erwartet, aber das? Riesige Sanddünen erstrecken sich vor uns, Sanddünen wie in der Sahara. Der Sand ist extrem heiß, die Luft flimmert. Wir wundern uns einmal mehr über die Vielfalt des Westens: einmal abbiegen und schon stehen wir mitten in einer anderen Welt!
In den Sand Dunes sind wir alleine, sie sind ein super Alternativprogramm zum überfüllten Zion. Wir laufen durch den heißen Sand, haben Angst vor Klapperschlangen, fotografieren, lechzen irgendwann nach Wasser. Wüste. Sandwüste pur, mitten in den USA. Wir müssen zugeben, davon hatten wir vorher nichts gewusst. Und wir sind begeistert.
Jetzt aber wirklich: Zion
Wir halten uns an unser Vorhaben: die Sonne wird erst in zwei Stunden aufgehen, trotzdem quälen wir uns jetzt schon aus dem Bett. Wir wollen die ersten sein im Zion Nationalpark, wollen erleben, wie der Sonnenaufgang die dunklen kalten Felsen in ein flammendes Rot taucht.
Keine Unterkünfte vorzubuchen, sondern spontan zu entscheiden, wann wir wo wie lange bleiben, erweist sich für uns einmal mehr als die absolut richtige Entscheidung. Wir haben die Freiheit, einfach nochmal wiederzukommen, wenn die Bedingungen besser sind. Für uns gehört dies zum größten Luxus auf unseren Reisen.
Kurz nachdem wir in den Park fahren, bleiben wir stehen. Die Sonne steigt über den Horizont, die ersten Felsen erleuchten glühend vor dem kalten Blau der Nacht. Ein unbeschreibliches Gefühl überkommt uns und erfüllt unsere Herzen. Ist es Freude? Vielleicht ist es Ehrfurcht.
Auf dem Parkplatz, auf dem gestern der pure Stress herrschte, sind wir heute alleine. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Wir fahren mit dem ersten Shuttle in das Innere des Parks. In völliger Stille laufen wir die Wanderwege entlang. Sie ist ganz besonders, diese Uhrzeit in der Natur. Zwei, drei Meter neben uns stehen Rehe, die uns neugierig anschauen. Obwohl sie Kitze dabei haben, laufen sie nicht weg. Es ist ein Moment der Magie. Hier, an diesem Ort, der dieses unbeschreibliche Gefühl vermittelt, das direkt ins Herz geht.
Wir wandern, bis es hell und warm wird, bis der Park sich langsam füllt. Es ist erst mittags, aber es gäbe nichts, was dieses Erlebnis für uns perfekter, vollständiger machen könnte, deswegen machen wir uns auf den Weg. Jemand anderes freut sich über unseren Parkplatz, als wir zurück Richtung Osten fahren – zurück dahin, wo wir vor wenigen Tagen herkamen, die uns wie Wochen vorkommen. Zurück nach Page, um von dort aus am nächsten Tag noch weiter Richtung Osten zu fahren – dorthin, wo zu dieser Zeit kaum noch Touristen sind.
Monument Valley
Die Straße zum Monument Valley beeindruckt durch Weite und Einsamkeit. Hier ist nichts, außer Felsen und Sand und Grasbüscheln, die über die Straße wehen. Wir hören Roadtripmusik, trinken all die Getränke in viel zu großen Dosen, die es bei uns nicht gibt und freuen uns an der Sonne auf unserer Haut. Es tut gut, im Nirgendwo zu sein. Über endlose Straßen dem Horizont entgegen zu fahren.
Reiten ist etwas, das Jan nicht macht. Durch das Monument Valley zu galoppieren, im Westernsattel eines ehemaligen Wildpferdes, ist etwas, was Jan ganz sicher nicht macht. Aber ich träume davon. Seit ich zum ersten Mal Bilder dieses unglaublichen Ortes gesehen habe, begleitet mich diese Sehnsucht.
Das Monument Valley nimmt uns auch dieses Mal wieder gefangen mit seinem ganz besonderen Spirit, den man so wohl nur hier spüren kann. Für mich wird dieser Ort immer ein absolutes Highlight der USA sein.
Unzählige Western-Filme wurden hier gedreht und es steht wohl kein anderer Ort so für den Wilden Westen wie dieser. Während wir uns letztes Mal nur ein kleines Stück in das Tal hineingewagt haben, trauen wir unserem Auto heute mehr zu und fahren über die hucklige Schotterpiste zwischen den gigantischen Felsformationen hinein in das Land der Wild-West-Träume.
Als unser Auto wirklich nicht mehr weiter kann, steigen wir aus. Über uns liegt die klare Luft der Wüste, die Temperaturen sind angenehm. Vor wenigen Wochen war es hier noch unerträglich heiß, und nicht mehr lange wird es dauern, bis der erste Schnee fällt. Wir haben Glück – Anfang November ist eine super Zeit.
Wir kommen zu einer kleinen Ranch, eine Herde Mustangs streitet sich um das Heu. Außerhalb des Zaunes stehen wilde Mustangs, die ersten Wildpferde, die wir in den USA sehen. Hier in dieser Kulisse zu sein, eine Ranch zu finden, und keine Reittour zu machen, das geht nicht. Ich mache es notfalls alleine, ich würde es ewig bereuen.
Wir finden die Navajos, die zu der Ranch gehören und fragen nach ihrem liebsten Pferd. Es ist ein schwarzer Mustang namens Shotgun, sagen sie, aber der Name sei nur Show – das Pferd sei quasi eine Lebensversicherung. Jan schluckt, aber er ist überredet. Auf einem Mustang namens Shotgun durch den Wilden Westen zu reiten, das kann auch er sich nicht nehmen lassen.
Ob die Sättel in Europa wirklich kein Horn haben, fragt der Navajo, der uns die ewigen Reitpfade durchs Monument Valley zeigt. Es ist unheimlich ruhig hier, fernab der Straßen. Die Hufe unserer Pferde wirbeln Sand auf, Streifenhörnchen huschen durch das Gras. „Nein“, sage ich, „wirklich kein Horn, und unbequemer sind sie“. Der Mann schüttelt den Kopf. „Kein Horn, und woran befestigt ihr dann eure Lassos?“ „Wir haben keine Lassos“, sage ich. Er schaut mich ungläubig an. „Ihr fangt eure Rinder ohne Lassos?“
Ich lächle. Lächle, weil die Welt hier so anders ist, das Denken und das Leben so anders, obwohl wir doch in der westlichen Welt sind, in einem Land, das dem unseren offiziell so gleicht. Wie wenig kennen wir die Welt, wie wenig das Leben der Anderen.
Es stimmte, Shotguns Name ist nur Show. Jan möchte nie wieder absteigen und wird noch Monate später von dem Ritt schwärmen. Eine eigene Mustang-Ranch, das wäre das beste. Eine Mustang-Ranch hier in Utah. Wir traben über die rote Erde durch die Landschaft, die wie eine riesige Filmkulisse wirkt. Der Navajo erzählt von seiner Welt, seinen Traditionen, von Festen und Regentänzen und von dem Moment, in dem er Johnny Depp eine Frage stellen durfte. Es sind Stunden wie diese, in denen man sich verliert. Stunden, die ewig dauern könnten, die irgendwie auch tatsächlich für immer bestehen bleiben, in unseren Gedanken, in unserem Herzen.
Moab und die heile Welt
Die Fahrt durch Utah führt uns nach Moab, einem kleinen Städtchen, in dem die Welt irgendwie einfach in Ordnung ist. Wir bleiben für einige Tage, staunen tagsüber in den Canyonlands und nachts unter dem endlosen Sternenzelt im Arches Nationalparks. Für ein Wochenende machen wir Pause vom Roadtrip, essen mit Amerikanern und besuchen lokale Westernreitturniere. Es ist entspannt hier. Stress scheint es in Moab nicht zu geben. Jeder trägt ein Lächeln auf den Lippen, man schaut in entspannte Gesichter. Ist hier vielleicht der Ort, an dem man sein möchte? Ist es vielleicht gar nicht Kalifornien mit seiner Surferküste, den fantastischen Sonnenuntergängen, den hippen Städten und dem California-Lifestyle? Wohnt das Glück hier in der Wüste? In Moab?
Die Entschleunigung Moabs ist ansteckend. Zum ersten Mal haben wir gar nicht das Bedürfnis, weiterzureisen. Stundenlang sitzen wir zwischen den bizarren Felsbögen des Arches Parks und schauen dem Verlauf der Sonne zu, bis sie hinter dem Horizont verschwunden ist. Wir könnten hier auch wohnen, findet Jan. Es wäre bestimmt ein gutes Leben. Anders, aber gut.
Vielleicht liegt es an der Atmosphäre in Moab, vielleicht am Wetter, vielleicht daran, dass wir fast alleine hier sind. Was letztes Mal für uns Zion war, ist dieses Mal Arches: Der Nationalpark, der uns am meisten begeistert. In den mehr als 2000 gigantischen Felsbögen und der tiefstehenden Sonne finden wir mehr Fotomotive, als wir je fotografieren könnten, mehr Inspiration, als wir aufnehmen können. Ich möchte tagelang durch diese Natur wandern, möchte unter freiem Himmel schlafen und der Bewegung der Sterne zusehen. Ich möchte diesen Ort erleben, möchte hier sein. Wir sind hier.
Endloses Nichts: Bonneville Salt Flats
Wehmütig verlassen wir Moab. Unsere Route führt uns nach Salt Lake City, wo wir einige Tage bleiben und am Blog arbeiten werden, bevor wir als Belohnung unsere Weiterfahrt durch die riesige Salzwüste antreten werden.
Wenn wir vorher schon dachten, die Straßen des Westens seien unendlich, ist es die Salzwüste erst recht. Wie ein riesiger weißer Teppich erstreckt sie sich vor uns, spiegelnd und mit dem Himmel verschmelzend.
Es ist unmöglich, hier Entfernungen abzuschätzen. Egal, wie weit man fährt, überall ist nichts, wir befinden uns in einer riesigen weiß-blauen Fläche. Zu einer Seite sehen wir am Horizont eine Bergkette, unsere einzige Orientierung. Ich war noch nie in einer Salzwüste und bin begeistert. Auf der letzten Reise sind wir durch Salt Lake City einfach nur so durchgefahren, wie man das eben so macht, denn was soll man hier? Staunen, das weiß ich jetzt. Und noch einen ganz anderen landschaftlichen Aspekt des Westens kennenlernen.
Die Bonneville Salt Flats, in denen wir uns befinden, werden oft als Testareal genutzt, um Geschwindigkeitsrekorde von Fahrzeugen aufzustellen, denn kaum irgendwo sonst gibt es ihn so wie hier: Unendlich viel Platz.
Wir genießen unsere letzten Tage in Utah, einen Bundesstaat, dessen Schönheit und Vielfalt uns absolut übermannt hat. Die Salt Flats sind unser letzter Stop, bevor wir uns auf den langen Weg nach Westen machen: Nach Kalifornien, an die Küste. Zu dem Traum, wegen dem wir eigentlich hergeflogen waren. Dem Sonnenuntergang entgegen.
Den Artikel über den zweiten Teil unserer Reise findest du hier: Wilde Mustangs und schroffe Küsten II: Ein Roadtrip durch Kalifornien
21 Kommentare
Hi, weisst du noch wo genau die Ranch zum Reiten war und wie diese heißt?
Beste Grüße
Yves
Hallo Yves, die Ranch ist direkt im Monument Valley am John Fords Point. Liebe Grüße und viel Spaß!
Hallo ihr beiden.
Ich bin gerade in Philly und überlege, wohin in der Nächsten Etappe. Habe mich für Arizona entschieden, da beim letzten mal der Grand Canyon sich für zwei Tage nicht aus den Wolken getraut hat.
Ich habe auch Page eingeplant und da bin ich auf euren tollen Blog gestoßen.
Es macht einem richtig traurig, wenn man solche Sachen wie mit dem Antelope Canyon hört und sieht.
Also werde ich es mit dem Canyon X versuchen.
Da ich mich auch länger im Navajo Reservat aufhalten möchte und gerne mit den Natives in Kontakt kommen würde. Habt ihr dazu Tips?
Wo war die Mustang Range?
Vielen Dank für euren tollen Blog und den erfrischenden Schreibstil.
Grüße Joe
Hey Joe,
vielen Dank für deinen Kommentar. Wir wünschen dir ganz viel Spaß im Canyon X, berichte doch mal, ob er noch so schön leer ist!
Zum authentischen Kontakt mit Navajos haben wir leider keine Tipps, wir waren einfach ganz normal dort auch essen, Klamotten etc kaufen und das ging ganz alleine. Sind ja auch nur Menschen, die da normal wohnen 🙂
Die Mustangs waren im Gebiet des Monument Valley, beim John Fords Point.
Liebe Grüße und eine tolle Reise
Sina
Wow, ein wirklich wunderschön geschriebener Bericht! DANKE dafür!
Vorallem auch im Monument Valles sprichst du mir auch aus der Seele!
Der Shotgun wäre auch perfekt für meinen Freund…..mit wem habt ihr denn den Ausritt gemacht?
Ein Traum, den auch ich mir unbedingt erfüllen möchte, sowie den Rest des Roadtrips.
Wir Glücklichen werden im Mai rüber fliegen! Die Vorfreude ist schon riesig und dein Bericht trägt seinen Teil dazu bei! Mach bitte weiter so! Lg K
Wow ich bin absolut begeistert von Euch! Vielen Dank für die genialen Tipps, die wunderschönen Fotos und die spannenden Geschichten! Ihr seid TOP!!!!
Hey Annina,
uii, vielen Dank für die lieben Worte! Es freut uns sehr, dass dir der Blog gefällt!
Ganz viel Spaß weiterhin und liebe Grüße
Sina
Hi ihr! Wow, da habt ihr aber eine Menge Arbeit und Zeit reingesteckt. Euer Blog steckt voll schöner Bilder und Berichte – hab ihn mir direkt gespeichert. Weiter so!
Hey Anne,
vielen Dank für deine lieben Worte! ❤️ Es freut uns riesig, dass unser Blog dir so gut gefällt 🤗
Liebe Grüße
Sina
Liebe Sina, der Artikel ist klasse. Ich war noch nie da,aber nun steht wieder was mehr auf meiner Liste. Ich mag deinen Schreibstil😎lG Ulli
Hey Ulli,
vielen Dank für die lieben Worte 🙂 Wir können dir eine Reise in die Region absolut empfehlen, es ist unglaublich!
Ganz liebe Grüße
Sina
Ich bin soooooo geflashed von diesem Beitrag und Eurem Blog! Wahnsinn. Ich verbeuge mich. Ganz große Klasse! Ich freue mich, Stück für Stück Eure Berichte zu lesen und werde mir viele Tipps dazu nehmen 🙂 Danke, für solche Mühe!
Hey Melanie,
wow, vielen Dank für dein riesiges Lob, wir freuen uns total darüber! 🤗🤗
Ganz viel Spaß weiterhin beim Lesen und Schauen!
Liebe Grüße
Sina
Sehr schön geschriebener fünf informativer Beitrag. Macht definitiv Lust. Wir werden im Juni auch wieder dort im Westen sein, diese Mal auch mit Monument Valley, habe wir letztes Mal nicht geschafft.
Als Resultat aus eurem Artikel werden wir, fals wir nochmal in den Westen gehen, auf jeden Fall nicht mehr einen direkten Sommermonat wählen!
Habt ihr einen Tip zur Simkartenauswahl und Kauf. Wo, welches Netz muss?
Danke und viele Grüße
Karin
Hey Karin!
Danke für dein Lob! Monument Valley lohnt sich auf jeden Fall und wir euch gefallen! Im Sommer aber bestimmt recht warm… 😀
Also wir haben uns einfach wieder Pre-Paid-Karten von AT&T gekauft, damit hatten wir bereits in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht. Da wir für Blog und unser Fotografie-Business recht häufig Internet benötigen, haben wir jeder den 6 GB Plan genommen. Da reichte für uns locker und ist wirklich bezahlbar.
Was man allerdings beachten muss: In den Navajo-Gebieten funktioniert keiner der amerikanischen (Pre-Paid)-Provider, da die Navajo ein eigenes Netz betreiben. Man muss also berücksichtigen, dass man in diesen Gebieten dann tatsächlich offline ist.
Liebe Grüße
Jan
Danke dir Sina. 🙂
Hi ihr beiden,
mal wieder ein unglaublich schoener Artikel. So viele Dinge, bei denen ich euch zustimmen moechte, vor allem aber: “Ein Ort, den man sich nicht vorstellen kann, wenn man ihn auf Fotos sieht, weil kein Foto ihn erfassen kann. Auch unsere nicht. Nicht im Ansatz.” Genau deswegen fahren wir auch Ende Maerz erneut am Grand Canyon vorbei.
Ein wenig Angst habe ich wegen Zion – wir werden leider am Karfreitag da sein und ueber Ostern soll es wohl noch voller werden. Aber wir peilen ganz frueh morgens an und schauen mal, ob wir es wenigstens ein oder zwei Stunden aushalten. Wenn nicht, habe ich ja jetzt mit den Coral Pink Sand Dunes eine gute Alternative auf dem Weg nach Page!
Freue mich schon auf den naechsten Artikel!
Annso
Boa, der Wahnsinn, diese Natur, diese Bilder! Ich weigere mich noch immer, in die USA zu reisen, aber wenn ich das so ansehe, muss ich mich schon irgendwann fragen, ob die Landschaften die Politik und die Einreise überwiegen? Liebe Reisegrüsse und ich freue mich schon auf den zweiten Teil, Miuh
Hey Miuh,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar 🙂
Die Landschaft ist wirklich unheimlich schön. Über die Politik brauchen wir wohl nicht reden, für uns überwiegen für eine Reise allerdings die Natur, die Landschaften und die Erinnerungen. Wer weiß – vielleicht ändern sich ja irgendwann mal was auf politischer Ebene. Es bleibt in vieler Hinsicht zu hoffen.
Liebe Grüße
Sina
Hallo Sina,
ihr seid definitiv nicht alleine: Ich LIEBE amerikanische Supermärkte und den Wahnsinn dort 🙂 Toller Bericht mit unglaublich tollen Bildern. Jetzt habe ich wieder Fernweh!
Liebe Grüße
Magdalena
Liebe Magdalena,
haha, alle anderen schütteln immer mit dem Kopf! Vielen Dank für deinen lieben Kommentar ❤️
Liebe Grüße
Sina