Streetfotografie ist ein Genre, an das sich viele Fotografen erst nach langer Zeit herantrauen – oder niemals. Die Fotografie von Menschen und Szenen auf der Straße ist spannend, bringt aber zusätzlich zu den fotografischen Herausforderungen Hemmungen, Ängste und rechtliche Fragen mit sich. Wir zeigen dir in diesem Artikel, wie wir an die Streetfotografie herangehen und haben 10 Streetfotografie Tipps für dich, die dafür sorgen, dass du beeindruckende Fotos auf der Straße machst!

Was ist gute Streetfotografie?

Streetfotografie zeigt das Leben im öffentlichen Raum. Sie ist eine Reportage über unsere Kulturen und Welten, über Menschen und Begegnungen. Anders als in einigen anderen Sparten der Fotografie ist das Ziel der Streetfotografie nicht das Zeigen von Schönheit, sondern von Wirklichkeit. Von Situationen und dem Leben – so, wie es ist – nicht so, wie es idealisiert sein könnte. Hierbei bezieht sich Streetfotografie bewusst auf die Darstellung fremder, unbeteiligter Menschen. Dies führt in unserem Kulturraum zu rechtlichen Bedenken, aber auch zu diversen ethischen und moralischen Überlegungen und Hemmungen, weswegen viele Fotografen sich nie an dieses Genre heranwagen.

Streetfotografie ist das Erzählen von Geschichten. Das Fotografieren einzelner, flüchtiger Augenblicke, den den Charakter der Umgebung, der Kultur, der Stadt widerspiegeln. Das Festhalten einer besonderen Stimmung und Atmosphäre, die dem Betrachter über ein Foto in den Moment hineinsaugt. Streetfotografie ist dokumentarisch und ungestellt, authentisch und zufällig und erfordert viel Einfühlungsvermögen und das Einlassen auf den Ort und die Menschen – wertschätzend, immer ohne zu be- und verurteilen.

Was ist Streetfotografie
Männer spielen Domino auf der Straße im sogenannten Elendsviertel El Chorrillo in Panama City. Streetfotografie zeigt das Leben im öffentlichen Raum, flüchtige Momente, erzählt Geschichten über Menschen und Orte.

Die Probleme der Streetfotografie

Mehr als andere Genres der Fotografie fordert die Streetfotografie nicht nur unser fotografisches Können, sondern insbesondere auch menschliche und soziale Eigenschaften. Streetfotografie fordert das selbstverständliche Auftreten und Bewegen als Fotograf im öffentlichen Raum, das Beobachten von Menschen, die Kommunikation mit Fremden, manchmal auch die Konfrontation. Streetfotografie funktioniert nicht ohne Kontakt – und nicht ohne ein gewisses Maß an Mut und Selbstbewusstsein.

Gerade in unserem Kulturraum, in Mitteleuropa, ist Streetfotografie auch mit rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Darf man Menschen auf der Straße einfach so fotografieren? Braucht man ihr Einverständnis – vielleicht sogar schriftlich? Muss ich also jeden Menschen vor dem Fotografieren fragen? Ist dann nicht der Moment weg – und wie sollte das überhaupt umsetzbar sein?

Tatsächlich bestehen insbesondere seit dem Wirbel um die DSGVO große Unsicherheiten – und eine große rechtliche Grauzone zwischen künstlerischer Freiheit (Kunsturhebergesetz) und Persönlichkeitsrechten (Recht am eigenen Bild). Ein weiteres Problem ist, dass viele Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz einfach nicht gerne fotografiert werden wollen. Allein eine große Kamera in der Hand trifft oft schon auf Misstrauen – es kommt hier bisweilen sogar zu Drohungen. Auch uns ist das in Frankfurt schon passiert – obwohl wir Architektur abgelichtet und nicht einmal ansatzweise in die Richtung des betroffenen Menschen fotografiert hatten.

Streetfotografie in Venedig
Streetfotografie in Venedig: Dürfen wir fremde Menschen einfach so fotografieren, ohne deren Einverständnis?

Heimlich oder offen fotografieren?

Nun gibt es viele Tipps von Streetfotografen, wie man möglichst unauffällig, also heimlich, fotografieren kann. Hier erklärt der britische Streetfotograf Brian Lloyd Duckett seine. Achtung: Nicht alles lässt sich 1 zu 1 auf Deutschland übertragen, die Stimmung hierzulande ist gefühlt durchaus gereizter und misstrauischer.

Das verdeckte Fotografieren hat definitiv Vorteile. Aber unsere persönliche Herangehensweise ist das heimliche Fotografieren in den meisten Fällen nicht. Erstens finden wir es ethisch fragwürdig, zweitens dürften heimlich aufgenommene Fotos erkennbarer Personen in der Regel nicht veröffentlicht werden, drittens haben wir gelernt, dass es auch anders geht, und wir uns dabei deutlich wohler, offener und entspannter fühlen.

Es gibt eine große Einschränkung: Tatsächlich verfolgen wir die offene Streetfotografie so gut wie nie in Deutschland. Die Mentalität und die Vorbehalte der Menschen hier passen für uns einfach nicht in dieses Genre, und wir möchten zwar vor allem keine körperliche Auseinandersetzung riskieren, aber tatsächlich auch den Wunsch der meisten Menschen, nicht fotografiert zu werden, respektieren.

Und so fotografieren wir Menschen auf der Straße dort, wo es nicht nur akzeptierter, sondern sogar oft ausdrücklich gewünscht ist: Im Ausland. Schon in Osteuropa oder Nordamerika wirst du merken, dass Streetfotografie gar kein Problem ist. In Südostasien und Lateinamerika machen die Menschen sogar oft deutlich, dass es eine Ehre für sie ist, fotografiert zu werden, und sie freuen sich, wenn sie dich mit der Kamera sehen. Natürlich ist dies nicht allgemeingültig und gerade in muslimisch geprägten Regionen ist oft das Gegenteil der Fall und Fotos unerwünscht. Dies gilt auch für einige indigene Völker.

Grundsätzlich machen wir beim Fotografieren auf Reisen außerhalb unseres eigenen Kulturkreises jedoch fast ausschließlich sehr positive Erfahrungen – so sehr, dass wir mittlerweile richtig Spaß an diesem Genre haben – welches zuhause für uns so negativ besetzt ist.

Der zweite Vorteil der Streetfotografie im Ausland: Da Umgebung und Lifestyle für dich hier ungewöhnlich sind, findest du viele alltägliche bzw. „gewöhnliche Straßenszenen“ wahrscheinlich deutlich interessanter als Zuhause. Durch das Neue, Unbekannte eröffnet sich eine Vielzahl an Motiven, schnell willst du gar nicht mehr aufhören zu fotografieren!

Fotografie anderer Kulturen
Mit dem Einbaum durch die Mangroven zur Schule: Der Alltag in anderen Kulturen ist für uns so fremd und anders, dass die alltäglichsten Szenen faszinierende Motive werden

Der Moment ist vorüber, wenn ich frage, ob ich fotografieren darf

Ja, das stimmt. Wenn du einen flüchtigen Moment siehst, kannst du diesen nicht unterbrechen und nach einem Foto fragen – der Moment ist hinüber. Und in diesen Situationen, diesen Momenten, fotografieren wir daher auch, ohne vorher zu fragen – alles andere ist nicht möglich. Natürlich kannst du im Nachhinein fragen, ob das Fotografieren okay ist, oder dann, wenn der Moment unterbrochen ist.

„Fragen“ meint übrigens meist kein echtes „Guten Tag, darf ich Sie fotografieren?“, sondern ein bloßer Augenkontakt mit einem Lächeln und einem Zeigen der Kamera oder ein fragender Blick zur Kamera ist völlig ausreichend. Die Menschen signalisieren dir, wenn sie das nicht wollen. Wenn du tatsächlich verbal nachfragen möchtest, aber die Landessprache nicht sprichst: Ein „photo okay“? mit Zeigen der Kamera wird in der Regel interkulturell verstanden.

Einfach zu weit weg: In dieser Szene hätten wir erst das Hafenbecken überqueren müssen, um um Erlaubnis zu fragen. In Situationen wie diesen fotografieren wir einfach. Wenn du einem Menschen mit der Kamera knapp vor dem Gesicht herumhängst, gestaltet sich das natürlich anders.

Das richtige Objektiv für die Streetfotografie

Grundsätzlich funktioniert die Streetfotografie mit jeder Kamera und jedem Objektiv. Im Gegensatz zu Genres wie etwa Makrofotografie oder Landschaftsfotografie steht bei der Streetfotografie eher nicht die technische Perfektion im Vordergrund, sondern es geht um Storytelling, Ausdruck, Emotion. Und so dürfen Streetfotos rauschen, sie dürfen sogar unscharf sein, sie dürfen schief sein, extreme Hell-Dunkel-Kontraste haben – auf der technischen Seite gibt es fast keine No Gos.

Welche Brennweite für deine Streetfotografie sinnvoll ist, hängt im Wesentlichen davon ab, wie nah du dich an deine Motive herantraust. Fotografierst du zuerst lieber aus sicherer Entfernung? Dann eignen sich vielleicht 50 bis 70mm für dich. Dein Credo ist „Oh Gott, Menschen!“, du bist lieber ganz weit weg? Dann beginn auch gerne mit noch mehr Brennweite. Grundsätzlich werden für die Streetfotografie meist Brennweiten zwischen 20 und 50 mm empfohlen. Die Klassiker auf der Straße sind, 24mm, 35 mm oder 50 mm Festbrennweiten.

Wir fotografieren Street mit einem 16-35mm f4 Objektiv (dieses) sowie mit einer 35mm 1,4 Festbrennweite (dieses). Alle Fotos in diesem Artikel wurden mit einem dieser beiden Objektive aufgenommen.

Streetfotografie welches Objektiv
Wir bevorzugen Weitwinkelobjektive für die Streetfotografie und gehen damit meist möglichst nah ran. So fotografieren wir Szenen mitten aus dem Geschehen heraus, das Foto ist und wirkt von “mittendrin” statt heimlich aus der Ferne ausgenommen.

Streetfotografie Tipp #1: Fotografiere!

Unser wichtigster Tipp für die Streetfotografie ist zugleich der simpelste und schwierigste: Gehe raus und fotografiere! Oft stehen vor allem Selbstkritik und falsche Glaubenssätze zwischen dir und großartigen Fotos. Also verbringe zwar Zeit damit, über Streetfotografie zu lesen oder dir Streetfotos anderer Fotografen anzuschauen. Aber dann: Geh raus und mache deine eigenen Erfahrungen! Dafür musst du nicht gleich nach Buenos Aires fliegen. Finde für dich heraus, wie die Streetfotografie vor deiner Haustür funktioniert – vielleicht machst du ganz andere Erfahrungen als wir.

Eifere anderen Fotografen nach, entdecke deinen eigenen Stil – ja, tatsächlich schließt sich beides nicht aus, sondern funktioniert verblüffend gut gleichzeitig. Finde heraus, was dir Spaß macht, welche Farben, Motive, Menschen, Szenen dich ansprechen. Bist du vielleicht gerne nachts im Regen unterwegs? Sitzt du an einer Straßenecke und wartest, bis ein Motiv durch deine vorher komponierte Szene läuft? Oder gehst du auf die Menschen zu, sprichst sie an und fragst nach einem Foto?

Wenn du demnächst auf Reisen außerhalb von Europa bist, plane doch einen halben Tag für die Streetfotografie ein. Erkunde die Städte mal nicht auf einer Touristentour, sondern mit deiner Kamera, verbinde Reisen und die Streetfotografie und lerne so Land und Leute kennen – authentisch und echt, fernab von Sehenswürdigkeiten.

Streetfotografie im Ausland
Auch wenn es vielleicht zuerst keine guten Fotos werden: Bewusst als Streetfotograf statt als Tourist durch eine fremde Stadt zu ziehen, zeigt dir ganz andere Bereiche einer Stadt, erzählt ganz andere Geschichten. An diesem Straßenimbiss vor einem ehemals so noblen Gebäude, in dem aus Kühlboxen serviert und auf Autofelgen gegrillt wird, wären wir früher einfach vorbei gelaufen. Heute entdecken wir sogar die Katze unter dem Tisch – und mittlerweile würden wir diese Szene nochmal ganz anders und viel durchdachter fotografieren. Sei neugierig und offen! Beobachte, entdecke, fotografiere und lerne!

Streetfotografie Tipp #2: Respekt und Anstand

Respekt und Anstand gegenüber unseren Fotomotiven – den Menschen – haben für uns einen großen Stellenwert in der Streetfotografie.

Viele Streetfotografen vermeiden jede Kommunikation, sehen sich als stille Beobachter außerhalb des Raumes, in den sie unter keinen Umständen eingreifen wollen. Wir verstehen diesen Ansatz sehr gut, finden aber nicht, dass er (bei uns) funktioniert: Denn auch wenn wir es nicht wollen, sind wir ja faktisch vor Ort, daran können wir nichts ändern. Und wir sind nicht nur dort, wir sind auch nah dran, wir bewegen uns, mit einer Kamera in der Hand. Wir können uns noch so unauffällig anziehen oder aus der Hüfte fotografieren – wir sind da, ob es uns gefällt oder nicht.

Und so versuchen wir nicht, unsere Anwesenheit zu verheimlich, sondern nutzen sie als Chance, lächeln und interagieren mit den Menschen. Vermeiden meist nicht den Augenkontakt, sondern suchen ihn. Merken so auch direkt, wenn jemand nicht fotografiert werden will und können das akzeptieren. Wir machen uns in der Streetfotografie nicht zu Geistern, sondern zu dem, was wir sind: Menschen auf der Straße, die ihrer Beschäftigung nachgehen.

Portrait Straße
Als wir ihn fragen, ob wir ihn portraitieren dürfen, ist dieser alte Mann so stolz, dass er extra nochmal ins Haus hineingeht und einen anderen Hut holt: Ein Familienerbstück und das Wertvollste, das er besitzt.

Gerade in den schon angesprochenen Kulturkreisen funktioniert diese Herangehensweise an die Streetfotografie für uns sehr gut. Und je selbstverständlicher wir da sind und fotografieren, je weniger wir selbst uns als Fremdkörper wahrnehmen, sondern als normaler Teil des Raumes und des großen Ganzen, desto selbstverständlicher ist es scheinbar auch für die Menschen, dass wir dort sind. Und so haben wir außerhalb Deutschlands noch nie eine negative oder ablehnende Erfahrung in der Streetfotografie machen müssen.

Es sollte selbstverständlich sein, ein Nein zu akzeptieren. Wenn dein Gegenüber dir, wie auch immer, verdeutlicht, dass er nicht fotografiert werden möchte, akzeptiere dies lächelnd und suche dir ein anderes Motiv. Ja, manche potenziell wertvollen Aufnahmen können wir so nicht machen. Aber der gegenseitige Respekt sollte immer mehr wert sein als ein Foto.

Streetfotografie heimlich oder offen
Streetfotografie bringt dich in Kontakt mit den Menschen! Ein Teilnehmer unserer Fotoreise nach Panama zeigt einem Arbeiter auf dem Fischmarkt ein Foto, das er von ihm gemacht hat.

Menschen in besonderen Lebensumständen

Zum Thema Respekt und Anstand in der Streetfotografie gehört auch, keine Menschen in präkeren Situationen zu fotografieren, es sei denn, dies ist ausdrücklich gewünscht: Also keine Obdachlosen oder keine Menschen im Elend oder furchtbaren Situationen. Diese Menschen sind dir und deiner Kamera ausgeliefert und haben keine Chance, sich zu wehren. Versetz dich in ihre Lage und stell dir vor, eine asiatische Touristengruppe würde dich trauernd oder schutzlos fotografieren – du würdest es nicht wollen.

Widme dich also nicht der Elendsfotografie (wie gesagt, es sei denn, es ist ausdrücklich gewünscht, weil die Menschen auf ihre Umstände aufmerksam machen möchten), sondern fotografiere den Alltag. Du wirst feststellen: Je gutgelaunter, fröhlicher, stolzer die Menschen sind, desto mehr sind sie damit einverstanden, fotografiert zu werden. Und ja, vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Streetfotografie im Ausland einfacher ist.

Streetfotografie Menschen
“Foto, Foto!”, schreit dieses Mädchen, als wir mit unseren Kameras an ihrem Hinterhof vorbeigehen. Stolz zeigt sie uns ihrem Pool, ihr Poolspielzeug – und ihr ganz persönliches, kleines Paradies.

Streetfotografie Tipp #3: Beobachte und Antizipiere

Werde Wahrsager.

Das wichtigste Werkzeug in der Streetfotografie ist die Beobachtung. Gewöhne dir an, Menschen zu beobachten und versuche, ihre Handlungen vorauszusehen. Ich bin nach einigen Jahren Reportagefotografie auf Hochzeiten so im Training, dass ich ziemlich sicher voraussehen kann, wann im Gespräch eine Person lächelt oder lacht – und genau in diesem Moment drücke ich ab. Bis dahin beobachte ich die Person durch den Sucher, komponiere schonmal mein Foto – und erwische dann oft den perfekten Moment. Das ist kein Talent, sondern jahrelange Übung.

Je mehr du übst, desto leichter wird es dir fallen, Momente vorauszusehen. Wo geht eine Person lang, wann bleibt sie stehen, wie interagiert sie mit ihrer Umwelt, wann schaut sie vom Handy hoch, wann wird sie eine andere Person begrüßen, wann schaut sie zu ihrem Kind runter, wann wird sie lachen?

Die Momente sind der wichtigste Aspekt in der Streetfotografie. Wenn du sie, zumindest zum Teil, vorausahnst, kannst du das Motiv bis zum diesem Punkt durch den Sucher beobachten, den Finger auf dem Auslöser. Du kannst dein Bild im Sucher komponieren, Bildschnitt, Ebenen und Aufteilung festlegen. Wenn dein erahnter Moment dann kommt, drücke ab, am besten mehrmals kurz hintereinander. Anschließend suchst du dann das eine Foto heraus, welches den Moment am genausten getroffen hat.

Streetfotografie Tipp #4: Fern und Nah

Ein großer Tipp der Reportage- und Streetfotografie ist: Geh so nah ran wie möglich. Wenn dein Foto nicht gut ist, warst du nicht nah genug dran.

An diesem Tipp ist viel Wahres dran. Fotos mit wenig Abstand zum Motiv, aufgenommen mit geringer Brennweite (ich nutze wann immer möglich 16 mm), vermitteln beim Betrachten Nähe und das Gefühl, selbst vor Ort und mitten drin gewesen zu sein. Sie wirken völlig anders als der gleiche Bildausschnitt mit einem Teleobjektiv aufgenommen.

„Geh nah ran“ ist deshalb auch unser Streetfotografie-Tipp für dich. Und auch ein Grund, weswegen das „versteckt fotografieren“ für uns nicht gut funktioniert. Natürlich kannst du mit 200 mm von der anderen Straßenseite aus fotografieren. Wirkt dann aber meist leider nicht gut und vermittelt nie das Gefühl einer Weitwinkelaufnahme.

Was zuerst gegen „nah dran“ spricht, sind die eigenen Hemmungen, das Gefühl zu stören und der Gedanke „ich kann dem doch nicht mit der Kamera im Gesicht rumhängen“. Hierfür haben wir zwei Lösungen. Die erste ist die alte: Frag! Wenn du dein Motiv gefragt hast, ob er oder sie mit einem Foto einverstanden ist, spricht überhaupt nichts mehr dagegen, nah ran zu gehen. Du hast doch die Erlaubnis! Natürlich solltest du nicht ewig wenige Zentimeter vor deinem Motiv rumstehen, daher mach dein Foto (oder 10 oder 30 innerhalb von ein paar Sekunden), bedanke dich und lass deinem Motiv dann wieder Raum.

Für die Dominofotos vor diesem Abschnitt sind wir mit dem Weitwinkelobjektiv sehr nah dran, fast auf der Tischkante. Natürlich müssen wir hier vorher fragen, ob das in Ordnung ist. Die Männer begrüßen uns und willigen ein, machen vielleicht einen Witz, kommen dann aber schnell wieder ins Spiel rein und ignorieren uns. So haben wir ihre Erlaubnis eingeholt und kein schlechtes Gefühl, bekommen aber trotzdem echte Situationen.

Die andere Variante ist, trotz des Wissens, dass näher dran besser wirkt, erstmal von weiter weg zu fotografieren, wenn du dich damit wohler fühlst. Mit der Zeit wirst du ein immer stärkeres Bedürfnis haben, noch einen Schritt und noch einen Schritt näher ranzugehen. Irgendwann wird dieser Wunsch stärker sein als die Hemmungen. Gib dir diese Zeit und gehe so nah ran, wie es sich für dich gut und richtig anfühlt.

Das sollte generell deine oberste Priorität sein: Fotografiere so, wie es sich für dich gut anfühlt.

Streetfotografie nah dran weit weg
Erstmal weiter weg: Eine richtig starke Fotoreportage bekämst du, wenn du mit den Fischern im Boot säßest. Da das zuerst unvorstellbar scheint, beginne einfach damit, von weiter weg zu fotografieren. Geh erst dann dicht ran, wenn du selbst das Bedürfnis danach hast.

Streetfotografie Tipp #5: Lass dich inspirieren

Welche Motive lohnen sich? Wo lauern interessante Szenen? Und wie fängt man alltägliche Szenen interessant ein? Auf deinem Weg in die Streetfotografie wirst du deinen eigenen Stil entwickeln. Nicht trotzdem, sondern gerade dafür ist es unheimlich wertvoll, dir immer wieder Fotos berühmter bzw. „großer“ Street- und Reportagefotografen anzuschauen. Lass ihre Werke auf dich wirken und dich von ihrer Art des Sehens und Fotografierens inspirieren.

Je nach Geschmack kannst du dir dafür Bildbände kaufen, Websites durchstöbern oder Namen wie Steve McCurry auf Instagram folgen. Wir selbst bevorzugen einen Mix aus allem.

Hier eine Handvoll bekannter Websites und Bücher, mit denen du anfangen kannst:

Websites

Bücher

Podcast

Dokumentarische Fotografie Tipps

Streetfotografie Tipp #6: Warte, wie Situationen sich entwickeln

Wie Fotografie allgemein hat auch Streetfotografie viel mit Warten zu tun. Und so machst du richtig gute Streetfotos meist nicht im Vorübergehen, sondern, indem du auf den perfekten Moment wartest.

Hierzu gibt es verschiedene Herangehensweisen:

  • Suche dir eine Kulisse, eine Bühne für dein Motiv. Dies kann etwa eine farbenfrohe Graffiti-Wand sein, eine fotogene Straßenecke oder eine Szene mit interessant einfallendem Licht. Hier positionierst du dich und wartest, am besten durch den Sucher schauend oder mit der Kamera auf einem Stativ, bis eine Person „deine Bühne betritt“. Wenn sie genau dort ist, so du sie haben willst, lös aus. Das Gute: Da du vor der Person fotografierend vor Ort warst, wird sie in der Regel nicht denken, dass du sie fotografierst und nicht negativ auf dich reagieren. Der Nachteil: Eventuell will die Person „dein Bild nicht zerstören“ und läuft einen Umweg statt vor deine Kamera.
  • Auch in einer bereits bestehenden Szene solltest du abwarten, wie die Situation sich entwickelt. Ggf. ist die Szene zuerst fotografisch unspektakulär, entwickelt sich aber interessant, weil noch Leute dazu kommen. Mein liebster Tipp in der Streetfotografie: Beobachte, wie sich Situationen entwickeln. Oft entwickelt sich ein fotografischer Moment zu einem Höhepunkt und flacht dann wieder ab. Wenn du Reihen fotografierst, wirst du es auf den Fotos anschließend deutlich sehen: Eine Situation entwickelt sich, die Fotos werden besser, dann kommt das beste Foto, und die anschließenden werden wieder etwas schwächer. Warte diese Situationen ab und mache viele Fotos hintereinander, anstatt nur schnell ein Foto zu machen. Es lohnt sich!
Streetfotografie Tipps
Covid-Impfaktion in El Chorrillo, Panama City: Ein Foto wie dieses ist fast immer Bestandteil einer Serie aus Fotos, die sich langsam steigern und anschließend wieder abflachen. Dass der Polizist den Ärztinnen hinterherschauen wird, konnte man nicht wissen – aber erahnen und sich entsprechend positionieren.

Streetfotografie Tipp #7: Erwartungshaltung: Eine Handvoll guter Fotos ist eine gute Ausbeute!

Weißt du, was das Gemeine an der Fotografie ist?

Du siehst von anderen immer nur die allerbesten Bilder, von dir selbst aber alle. Das verzerrt schnell die Wahrnehmung in die Richtung, dass du davon ausgehst, dass alle anderen generell gute Fotos machen und bei dir selbst nur mal ein Glückstreffer dabei ist. Natürlich denkst du automatisch, alle anderen fotografieren besser als du.

Wenn dieser Gedanke aufkommt, begrabe ihn sofort. Nochmal: Du siehst von den anderen nur die allerbesten Bilder! Andere zeigt dir niemand!

Egal, wo du Fotos siehst, ob in den Medien, in Bildbänden, auf Instagram, in der Werbung, auf Websites: Du siehst nur die strenge Endauswahl des Fotografen. Jeder Fotograf, auch wir, veröffentlicht nur etwa 1-10 % seiner Fotos! 1-10 %! Die anderen sieht nie jemand. Warum? Weil sie einfach nicht so gut sind wie die 1-10 %, die veröffentlicht werden.

Wenn du 100 Fotos machst, und hast 1-2 wirklich gelungene, mit denen du voll zufrieden bist, ist das eine super Ausbeute. Anders ist das bei uns auch nicht.

Schraube also deine Erwartungshaltung runter. Nicht jedes Foto, das du aufnimmst, wird gut sein. Auch nicht jedes zweite oder jedes dritte. Jedes hundertste. Schau dir auch die Tipps 25-28 in diesem Artikel an: Die 70 besten Fotografie-Tipps aller Zeiten.

In der Streetfotografie bzw. Allgemein in der dokumentarischen Fotografie gilt dieser Grundsatz ganz besonders. Der Grund ist, dass du keinen Einfluss auf die Situation hast, du kannst die Menschen nicht posen oder die Kulisse beeinflussen. So hast du viel mehr Ausschuss als etwa ein Landschafts- oder ein Porträtfotograf. Ärgere dich nicht darüber und halte deine Fotografie nicht für schlecht. Es ist völlig normal, du machst alles richtig.

Streetfotografie Tipp #8: Der Moment schlägt die technische Perfektion

„Emotion beats Perfection“ ist ein Grundsatz, den wir in der dokumentarischen Hochzeitsfotografie gelernt haben.

Wir Fotografen beschäftigen uns viel zu viel mit Schärfe und Pixeln, Rauschen und technischer Perfektion. Hat dich das auf Fotos je interessiert, bevor du selbst fotografiert hast? Wenn nein, warum interessiert es dich jetzt?

Gerade, wen du Menschen und Momente fotografierst, solltest du vom Ansatz der technischen Perfektion wegkommen, denn er steht dir im Weg. Bildrauschen macht überhaupt nichts. Der Fokus liegt auf der Nase statt auf dem Auge? Sieht kein Mensch. Ein Bereich ist zu hell/zu dunkel/ausgefressen? Die Farben sind furchtbar? Konvertier es in schwarz-weiß und nenn es Kunst.

Viel mehr als technische Belange interessiert die Betrachter deiner Fotos die Geschichte auf dem Bild. Der Anspruch. Niemand schaut sich Fotos an, weil sie so rauscharm oder scharf sind. Also lern das, was es über die fotografische Technik zu lernen gibt (hier helfen wir dir dabei: Weg vom Automatikmodus!), und dann kümmere dich um Momente, Geschichten und Emotionen. Denn diese Dinge sind es, die Fotos ausmachen.

Mehr Gedanken zu diesem Thema findest du auch hier: Eine Hommage an deine Fotografie.

Streetfotografie Sport
Die Ausleuchtung wird keinen Preis gewinnen, aber das Licht war, wie es ist. Wichtiger als technische Perfektion ist uns in der Fotografie immer die Szene selbst und die Geschichte dahinter: Hier ein Fußballspiel zwischen zwei ehemals verfeindeten Gangs auf den Straßen Panamas.

Streetfotografie Tipp #9: Motive in der Straßenfotografie

Generell kannst du auf der Straße – oder generell draußen, denn Streetfotografie beschränkt sich für uns nicht nur auf Streets – fotografieren, was immer dich anspricht oder du fotogen findest.

Zur Ergänzung haben wir hier noch ein paar besondere Motivideen für dich, die vielleicht das „Salz in der Suppe“ sein können. Denke in deiner Streetfotografie auch an…

  • … Spiegelungen
  • … Fotos im Regen
  • … Fotos in der Nacht
  • Langzeitbelichtungen am Tag
  • … Menschen bei ihrer Tätigkeit (etwa auf dem Markt)
  • … Silhouetten
  • … Schatten

Streetfotografie Tipp #10: Stelle dir Aufgaben

Die Fülle an Motiven und Situationen in der Streetfotografie kann überfordernd sein. So überfordernd, dass du eventuell gar keine Motive mehr siehst – oder im anderen Extrem anfängst, schnell und beliebig zu fotografieren, anstatt dir Zeit für ein Motiv und eine Fotoidee zu nehmen.

Ein Trick, um aus diesem Problem rauszukommen und wieder bewusster zu fotografieren, ist, die Fülle von Motiven für dich zu reduzieren, indem du dir eine Fotoaufgabe setzt und alle anderen Motive ignorierst. Hier konzentrierst du dich bewusst nur auf ein Thema (z. B. „Die Farbe Gelb“), lernst, wieder bewusst hinzuschauen und deine Fotos zu gestalten.

Wir nutzen diesen Trick auch auf unseren Workshops und Fotoreisen, um die Teilnehmer an die Streetfotografie heranzuführen.

Die Vielfalt an möglichen Themen ist endlos. 10 Vorschläge:

  • Rot/Blau/Gelb/Türkis…
  • Menschen bei der Arbeit
  • Altes
  • Kontraste
  • Eine Geschichte in 3/5/… Fotos
  • Vögel in der Stadt
  • Hektik
  • Lichter
  • Fahrräder
  • Menschen mit Smartphone
Straßenfotografie Tipps
Alles, was gelb ist: Mit Beschränkungen auf bestimmte Motive findest du schnell wieder einen Fokus und entdeckt neue Motive im Durcheinander der Stadt

Lass deine Fotos Geschichten erzählen

Lass deine Streetfotos Geschichten erzählen. Geschichten vom Leben, von den Menschen, von der Straße. Bekannte Geschichten aus der Heimat und unbekannte Geschichten aus der fremden Ferne. Be- und verurteile nicht. Verliebe dich in die Städte und Szenen, beobachte sie, fühle sie. Erkenne und fotografiere den entscheidenen Moment.

Gib dir einen Ruck und traue dich, die Streetfotografie auszuprobieren. Lass dich darauf ein – und vielleicht wird sie auch für dich eines der interessantesten Genres der Fotografie. Für uns ist sie ein bisschen wie eine Sucht: Seit wir (sehr spät) damit angefangen haben, wollen wir immer mehr. Suchen nach Szenen, Geschichten, Begegnungen. Ignorieren die Sehenswürdigkeiten einer Stadt und suchen nach dem wirklich Sehenswerten, Echten. Denn das macht für uns ein Land aus: Seine Menschen, nicht seine Skulpturen.

Vielleicht hast auch du große Freude daran, die Welt zu zeigen, wie sie ist – nicht wie sie sein könnte. Lass dich herausfordern. Nutze die Macht der Fotografie, um eine Geschichte zu erzählen, die in jeder Sprache der Welt verstanden wird. Und die – im Gegensatz zu jedem Bauwerk – vorher noch nie fotografiert worden ist.

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Autor

Hi! Ich bin Jan. Fotograf, Reisejunkie und Mitbegründer von Lichter der Welt. Ich liebe ferne Länder genau so wie den Wald vor der Haustür. Jeden Tag neue Dinge zu sehen und zu erleben ist das, was mich am Reisen am meisten reizt. Als Coach und Fototrainer gebe ich regelmäßig mein Wissen an Fotobegeisterte weiter. Auf Lichter der Welt nehme ich dich mit auf unsere Reisen und teile meine Erfahrungen, Tipps und Inspirationen mit dir!

4 Kommentare

  1. Beim Betrachten dieser Bilder fühlt es sich an, als würde man selbst durch die Straßen schlendern und die Vielfalt der menschlichen Erfahrung erleben. Vielen Dank für das Teilen dieser fesselnden Aufnahmen!

  2. Da kann ich dem Oli einfach nur zustimmen!

    In Deutschland passe ich schon sehr stark darauf auf, ja niemanden aus versehen mit aufs Bild zu bekommen – Bewegungsunschärfe & Co sei Dank!
    Wenn’s doch mal passiert, versuche ich recht freundlich zu Fragen obs denn OK ist. In ca. 60% der Fälle wollen die Leute wohl nicht auf irgendeinem Bild erkennbar sein. In Palermo letztens hingegen, wollten die Locals von sich aus mit auf die Fotos. Auf Mauritius wurde ich aktiv gefragt, ob ich nicht ein Foto knipsen könnte…
    Verkehrte Welt…

    VG
    Christopher

  3. Diese verbissene Haltung in Deutschland oder auch hier in der Schweiz finde ich schrecklich. Kürzlich war ich in einem relativ leeren Garten und hatte kurz mit jemandem einen Videochat, ausserhalb der Hörweite anderer Gäste. Dabei hab ich kurz die Kamera geschwenkt, um zu zeigen, wo ich sitze. Da kam dann tatsächlich eine Frau, die etwa 20 Meter entfernt war, rüber und stauchte mich zusammen. Dabei, selbst wenn ich sie gefilmt hätte, wäre sie so weit entfernt gewesen, dass man sie nicht hätte erkennen können. Der Zustand unsere Gesellschaft macht mir zunehmend Sorgen.

    • Hey Oli,
      oh je, ja, das ist echt heftig und deckt sich leider mit unseren Erfahrungen… uns macht das in Deutschland/Mitteleuropa einfach keine Freude, da man ständig auf der Hut ist, dass sich bloß niemand “ausspioniert” fühlt. Es hat ein bsischen gedauert, bis wir verinnerlicht hatten, dass das in anderen Kulturen zT völlig anders/gegensätzlich ist.

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